Bezahlbare Wohnungen überfällig

Nach den massiven Verkäufen öffentlicher Wohnungen an rabiate Investoren explodieren in den Städten die Mieten. Es fehlt an Wohnraum, den sich die Menschen leisten können. Da muss etwas geschehen, und zwar schnell, schreibt Werner Rügemer in seinem Beitrag der ver.di- publik. Lesen Sie seinen redaktionell geänderten Beitrag.

Sozialwohnungen

1987 gab es in der alten Bundesrepublik 5,5 Millionen Sozialwohnungen – heute sind es in ganz Deutschland nur noch 1,5 Millionen. Jedes Jahr fallen 100.000 davon aus der Mietpreisbindung heraus, und es werden kaum neue gebaut. Dabei ist heute der Bedarf ungleich höher als seinerzeit noch, wegen der Niedriglöhnerei, wegen der niedrigen Mietobergrenzen für Hartz IV-Empfänger, wegen der vervielfachten Energiekosten und vor allem wegen der Mietenexplosion in den Ballungsräumen. Seit 2014 hat sich die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland auf 860.000 verdoppelt. Investoren bleiben straflos, wenn sie Modernisierungen mit kriminellen Methoden erzwingen, ebenso straflos bleibt der mietsteigernde Wohnungs-Missbrauch für die dauerhafte Vermietung an Touristen.

Die Große Koalition hat bemerkt, dass ihre Mietpreisbremse von 2015 die Mieten nicht gebremst hat, im Gegenteil. Da bereitet Innenminister Horst Seehofer, CSU, auch zuständig für Heimat und Wohnungen, mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, für den 21. September einen „Wohnungsgipfel“ im Kanzleramt vor. Dafür hat der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums das Gutachten mit dem irreführenden Titel „Soziale Wohnungspolitik“ veröffentlicht. Federführend ist Professor Friedrich Breyer vom Vorstand des Thurgauer Wirtschaftsinstituts an der Universität Konstanz. Das Institut wird von einer Schweizer Bank gesponsert.

Ein neoliberales Glaubensbekenntnis

Die 38 Professoren und Professorinnen in diesem Beirat haben noch einmal ihr neoliberales Glaubensbekenntnis zusammengefasst, in Reinkultur: Der soziale Wohnungsbau habe nichts gebracht, also Schluss damit. Die Mietpreisbremse könne nicht verbessert werden, also weg damit. Stattdessen wird wird ideologisch gepredigt: „Markteingriffe sind kontraproduktiv.“ Besser, so sei es, der Marktregulierung zu vertrauen! Und dann folgt doch die übliche, wenngleich marktwidrige Forderung: Das Wohngeld erhöhen!

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Gegen den Wohnungs-Notstand hilft auch nicht das Baukindergeld, mit dem die Große Koalition einigen Besserverdienern zu einer Eigentumswohnung verhelfen will. Das gilt auch für die Modernisierungs-Umlage, wenn sie pro Jahr von 11 auf 8 Prozent gesenkt würde. Und das gilt auch für die von der FDP beklatschten Vorschläge Seehofers, die Baugenehmigungen zu „entbürokratisieren“. Die Ursachen des Notstands liegen tiefer – er ist Ergebnis von drei Jahrzehnten Privatisierungswahn. Die CDU / CSU / FDP-Regierung unter Helmut Kohl hatte 1988 die Gemeinnützigkeit von Wohnungsgenossenschaften aufgehoben. Beschleunigt durch die SPD / Grüne-Regierung unter Gerhard Schröder, SPD, haben Staat, Bundesländer und Kommunen hunderttausende öffentliche Wohnungen an rabiate Investoren verkauft.

Noch 2012 hat die Landesregierung von Baden Württemberg unter Winfried Kretschmann, Grüne, und Wirtschaftsminister Nils Schmid, SPD, 21.500 Wohnungen verkauft, 2013 verkaufte Bayern unter Horst Seehofer und Finanzminister Markus Söder, CSU, 33.000 Wohnungen. Und jetzt Seehofer als Retter aus der Wohnungsnot? Inzwischen haben Kapitalorganisatoren wie BlackRock preistreibende Konzerne zusammengeschoben, an der Spitze Vono­via mit 400.000 Mietwohnungen. (siehe auch: Der große Ausverkauf, ver.di publik 4 / 2018, Seite 9)

Es geht auch anders: Das Beispiel Wien

Mitten im Kapitalismus sind Alternativen möglich. In Wien, seit langem eine Zuzugsstadt, betrug 2017 die Durchschnittsmiete 5,68 Euro, also die Hälfte im Vergleich zu München. Das wurde möglich, weil in Wien nur ein Drittel der Wohnungen dem freien Markt unterliegt. Dagegen verfügt die Stadt über 900.000 Wohnungen: 220.000 als direkte Gemeindewohnungen, 200.000 in gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, der Rest öffentlich gefördert mit Mietbindung. Keine Wohnungen wurden verkauft. Der Wohnfonds Wien kauft vorausschauend mögliches Bauland auf, das erst dann als Bauland ausgewiesen wird, wenn die Eigentümer verkauft haben: So wird Bodenspekulation verhindert. Wien zahlt keine Subventionen an Mieter wie das deutsche Wohngeld. Vielmehr wird alles Geld in die „Objektförderung“ gesteckt, also in den Bau von Wohnungen. Jetzt pilgern Kommunalpolitiker aus Deutschland reihenweise nach Wien und staunen.

Privatisierung rückgängig machen

Was für ein Widersinn: Knapp 50 Mil­liarden Euro beträgt der stolz verkündete Steuer-Überschuss von Bund, Ländern und Kommunen im ersten Halbjahr 2018. Und der deutsche Staat kann Kredite zum Nullzins aufnehmen. Matthias Günther vom Pestel-Institut machte schon 2015 den marktkonformen und naheliegenden Vorschlag: Der Staat kauft Vonovia. Das hätte ihn seinerzeit 20 bis 22 Milliarden Euro gekostet. Damit wären 400.000 Wohnungen in öffentlicher Verfügung gewesen. Heute, nach dem Vonovia-Börsengang, wollen BlackRock & Co ihre Melkkuh nicht verkaufen. Aber möglich wäre Enteignung wegen nationalen Notstands und wegen asozialen Verhaltens, nach dem Grundgesetz gegen Entschädigung. Oder auch: mit einer staatlichen Sperrminorität von 25 Prozent anfangen.

Und das müsste flankiert werden. Zum Beispiel durch Strafzahlungen bei Mieter-Mobbing und falschen Nebenkosten-­Abrechnungen. Durch Steuereintreibung bei den Briefkastenfirmen der Investoren. Durch sozial orientierte Mietspiegel, flächendeckend in allen Städten. Durch die schon vielfach geforderte Abschaffung des Paragraphen 559 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wonach Modernisierungen auf die Mieter umgelegt werden können. Durch Neugründung  gemeinnütziger Wohnungsgesellschaften wie in Dresden. Die Immobiliengesellschaft des Bundes (Bima) hat bisher Grundstücke zum Höchstgebot an Investoren verkauft. Das ginge auch anders: Grundstücke nur verkaufen, wenn Sozialwohnungen gebaut werden.

Die sogenannten share deals müssen abgeschafft werden: Wenn Investoren eine Immobilie mit Grundstück kaufen, aber nicht direkt, sondern über den Kauf von 94,9 Prozent (ab 2018: 90 Prozent) der GmbH, der die Immobilie und das Grundstück gehören, dann brauchen sie keine Grunderwerbsteuer zu zahlen. Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz, SPD, rechnet hilflos vor: Beim Kauf des Sony-Centers am Potsdamer Platz sparten die Investoren aus Kanada und USA auf diesem Weg 66 Millionen Euro. Die sind dem überschuldeten Berliner Haushalt verloren gegangen. Die SPD / Linke-Koalition illustriert ihren politischen Offenbarungseid noch dadurch, dass Kollatz gesteht: Dadurch gehe dem Berliner Haushalt jährlich ein dreistelliger Millionen-Betrag verloren, man habe aber keine Ahnung, wie hoch die Summe wirklich ist. Bei den share deals ist zudem eine amtliche Genehmigung nicht nötig, sodass öffentliches Vorkaufsrecht nicht ­möglich ist.

Bezahlbare Wohnungen-jetzt

Eine sichere und bezahlbare Wohnung ist keine Ware, sondern von grundlegender Bedeutung. Da gibt es Nachholbedarf bei denen, die den Wohnungsnotstand hinnehemen, weil sie den Marktmechanismen vertrauen. Die Mietpreisbremse oder aber das Wohnbindungs- und das Wohnraumförderungsgesetz sind offensichtlich nicht in der Lage, bezahlbare Wohnungen sicherzustellen, von fehlenden Wohnungen mal ganz abgesehen. Die Ausstellung der Kommunen von Millionen Wohnberechtigungsscheinen ist längst zur Farce geworden.

Belohnungen für eine  Mietwohnung häufen sich. Foto: Werner Bachmeier / VISUM

Auf die freiwillige Einsicht der gegenwärtigen Regierungen kann dabei nicht gebaut werden. In zahlreichen Städten wie in Berlin, Frankfurt / Main, Dresden, Osnabrück haben sich Wohnungs-Initiativen gegründet. Selbst im verarmten Deutschland nach dem 1. Weltkrieg konnten die Kommunen hunderttausende gemeinnützige Wohnungen bauen – entscheidend war damals die unstrittige Verantwortung der öffentlichen Hand für diese Daseinsversorgung, die nunmehr  verantwortungslos von privaten Investoren wahrgenommen wird.

Mietpreisbremse

Zum 1. Januar 2019 gilt die scheinbar verbesserte Mietpreisbremse. Der Vermieter hat einige Pflichten mehr und der Mieter hat es etwas einfacher als bisher, gegen überhöhte Mieten vorzugehen. So steht es im „Gesetz zur Ergänzung der Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn und zur Anpassung der Regelungen über die Modernisierung der Mietsache“. Die Koalition spricht vom „Mieterschutzgesetz“. Aber so groß ist dieser Schutz nach wie vor nicht.

Dem Mieter wird nämlich zugemutet, sozusagen vom ersten Tag des Mietverhältnisses an Streit mit dem Vermieter zu suchen. Das sieht dann so aus: Angesichts der beengten Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt unterschreibt der Mieter erst einmal fast alles, was ihm vorgelegt wird. Dann soll er, so das Mieterschutzgesetz, den soeben unterschriebenen Vertrag angreifen und die Höhe der vereinbarten Miete anzweifeln. Dem Rechtsfrieden dient so eine Konstruktion nicht. Dem Mieterschutz auch nicht.

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