Benennung statt Wahl

Still, heimlich und leise hat die Bundesregierung nach dem Willen der Fraktionen von SPD und CDU/CSU mit dem Gesetz zur Ergänzung des Bundeswahlgesetzes vom 28.Okt.2020 die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Bundestagskandidaten in den Wahlkreisen von der jeweiligen Parteigliederung benannt und nicht mehr von den Mitgliedern gewählt werden.

Damit wird die demokratische Willensbildung von unten nach oben in ihr Gegenteil verkehrt, nämlich in eine Willensbildung von oben nach unten. Ein derartiger Wegfall eines Grundrechts, nämlich einer Wahl, geht weit über eine Grundrechtseinschränkung hinaus und kann auch nicht mit einem exponentiellen Wachstum der Infektionszahlen gerechtfertigt werden, weil ein solches Wachstum seit Anfang November 2020 nicht mehr existent ist.

Die entscheidende Ergänzung des Bundeswahlgesetzes ist §52,Abs.4, Satz 1. Sie lautet:

„Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, im Falle einer Naturkatastrophe oder eines ähnlichen Ereignisses höherer Gewalt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages von den Bestimmungen über die Aufstellung von Wahlbewerbern abweichende Regelungen zu treffen und Abweichungen der Parteien von entgegenstehenden Bestimmungen ihrer Satzungen zuzulassen, um die Benennung von Wahlbewerbern ohne Versammlungen, soweit erforderlich, zu ermöglichen, wenn der Deutsche Bundestag zu einem Zeitpunkt, der näher als neun Monate vordem Beginn des nach Artikel 39 Absatz 1 Satz 3des Grundgesetzes bestimmten Zeitraums liegt,feststellt, dass die Durchführung von Versammlungen ganz oder teilweise unmöglich ist.“

Ergänzung des Bundeswahlgesetzes

Dieser für den weiteren Ablauf entscheidenden Ergänzung haben die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zugestimmt, soweit sie die Bundesregierung stellen, ohne dass wenigstens einige Abgeordnete, zumindest die der Opposition, Zweifel an dieser Regelung geäußert hätten. Nicht einmal die selbst ernannten Hüter der demokratischen Freiheit haben sich zweifelnd oder ablehnend geäußert. Dabei handelt es sich um eine ( beabsichtigte) Grenzüberschreitung, die nunmehr zu der Feststellung gemäß § 52 Absatz 4 Satz 1 des Bundeswahlgesetzes am 13.Januar 2021 (Drucksache 19/25816) geführt hat, dass die Durchführung von Versammlungen für die Wahl der Bundestagskandidaten unmöglich ist. Diese grundrechtseinschränkende Feststellung folgt inhaltlich unmittelbar auf die Ergänzung des Bundeswahlgesetzes  vom 28.10.2020. Spätestens jetzt hätte es im Bundestag eine Diskussion über die Beseitigung von Grundrechten geben müssen. Stattdessen hat im Bundestag anscheinend die Fraktionsdisziplin, die Unkenntnis über den Sachverhalt und/oder das Desinteresse angesichts einer scheinbaren Kleinigkeit dominiert.

Eine andere Erklärung wäre die Überzeugung der Abgeordneten, einer rechtlich einwandfreien Regelung zuzustimmen, was allerdings voraussetzt, dass sich Abgeordnete mit dieser Ergänzung beschäftigt hätten.

Entwicklung der Infektionszahlen seit November 2020 (Grafik: RKI)

1.Lockdown light ab 2.November 2020

Das exponentielle Wachstum der Infektionszahlen begann Anfang Oktober 2020 und hatte Anfang November ein konstantes Niveau mit täglich unter 20.000 Infektionen erreicht. Der Lockdown light hätte daher bereits vor Oktober 2020 beginnen müssen, zumal das deutliche Wachstum der Infektionszahlen bereits vor dem 1.Oktober 2020 begonnen hatte.  Ab Anfang Dezember 2020 erhöhten sich die Infektionszahlen moderat auf täglich 25.000 bis Mitte Dezember.

2.Lockdown ab 16.Dezember 2020

Nach Beginn dieses Lockdown gingen die Infektionszahlen kontinuierlich bis zum 11.Januar 2021 auf rund 15.000 zurück und sinken weiter in Richtung 10.000.

3.Lockdown-Verlängerung ab 11.Januar 2021 mit weiteren Einschränkungen

Weitere Einschränkungen hätte es u.a. auf einer Vielzahl von Baustellen1 und in den Schlachtbetrieben geben müssen, die als Infektionsherde öffentlich bekannt geworden sind, nicht jedoch bei sozialen Kontakten, wenn die AHA-Regeln eingehalten werden können. Ohnehin fehlt eine Perspektive, die leider auch nur unzureichend bei den vorgesehenen Impfungen zu erkennen ist.

Vor allem aber dürfen die, die sich an die Regeln halten, nicht für die haftbar gemacht werden, die das nicht tun. Es sind vor allem die Rechtsextremisten, die sich Querdenker nennen, die sich nicht an die Regeln halten, für steigende Infektionszahlen sorgen und dafür nicht haftbar gemacht werden. siehe dazu die Studie über Infektionen nach  „Querdenken“-Demonstrationen.

 

Feststellung gemäß §52 Absatz 4 Satz 1 des Bundeswahlgesetzes (siehe Drucksache:  19/25816)

In den Begründungen dieser Feststellung für den Wegfall der Wahl wird u.a. folgende Begründung genannt: „Mit der zunehmenden Mobilität und den damit verbundenen zusätzlichen Kontakten in der Vorweihnachtszeit befand sich Deutschland aber wieder im exponentiellen Wachstum der Infektionszahlen.“(s.Seite 2, letzter Absatz)

Diese Behauptung ist ausweislich der Grafik des RKI falsch. Zwar gab es kurzzeitig ein moderates Wachstum der Infektionszahlen ab Anfang Dezember 2020, dieses Wachstum aber als exponentiell zu bezeichnen, läßt entweder auf eine erschreckende Unkenntnis über das Ausmaß eines exponentiellen Wachstums schließen, oder ist eine vorsätzlich Falschaussage mit dem Ziel, auf jeden Fall die Wahl der Bundestagskndidaten von den Parteimitgliedern in den Wahlkreisen zu verhindern und damit ohne Grundlage ein Grundrecht zu verweigern.

Darüber hinaus ist der Hinweis auf die Empfehlung des RKI vom 23.November 2020, in absehbarer Zukunft u.a. Versammlungen zu unterlassen, entlarvend, stellt sich doch wiederholt heraus, dass das RKI die faktische Entscheidungsbefugnis hat und nicht die Bundesregierung. In absehbarer Zukunft heißt im gegebenen Zusammenhang, dass die Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen (19.Juli 2021) nicht eingehalten kann und allein deswegen die Wahlen nicht stattfinden können. Eine solche Position ist mutig, um es freundlich zu formulieren.

Besonders ägerlich ist der Hinweis, dass „angesichts der erheblichen Einschränkungen für die Allgemeinheit die Durchführung von Versammlungen für die politischen Parteien in der Öffentlichkeit nicht vermittelbar wäre.“ (s.Seite 5, dritter Absatz) Es ist unverständlich, die Absicht der Wahlverhinderung bereits am 28.Oktober 2020 mit der Ergänzung des Bundeswahlgesetzes vorzubereiten und jetzt so zu tun, als handele es sich eine aktuelle Entscheidung wegen der Einschränkungen zu Lasten der Allgemeinheit, die als solche völlig verfrüht ist.  Geradezu abstrus ist der Hinweis auf Moblitätsbeschränkungen ab einer Entfernung von 15 km vom Wohnort. Abgesehen davon, dass diese Einschränkung bereits vom Bayrischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH)  gekippt worden ist, ist sie von vornherein unsinnig.

Fazit

Das Fazit der vermeintlichen Begründungen, dass die Durchführung von Versammlungen im Zusammenhang mit der Aufstellung von Wahlbewerbern damit auf absehbare Zeit ganz oder teilweise unmöglich ist, ist aus den genannten Gründen ohne Grundlage. Es ist daher notwendig, auf den Wegfall der Wahlen zu verzichten.

Nachtrag:

Verordnung über die Aufstellung von Wahlbewerbern, (Bundestagsdrucksache 19/26009)

Diese Verordnung ist am 19.Januar 2021 erfolgt, nachdem der Bundestag mit einer Mehrheit am 14.Januar 2021 die Feststellung gemäß Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 13.Januar 2021 getroffen hat, dass die Wahl durch eine Benennung ersetzt wird. Die Wahlen in den Wahlkreisen werden in diesem Jahr definitiv nicht stattfinden, obwohl es zeitlich möglich gewesen wäre, zunächst die weitere Entwicklung der Infektionszahlen abzuwarten. Die schnelle Entscheidung gegen die Wahl ist daher voreilig und unverhältnismäßig.

Rolf Aschenbeck

 

1 Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) hat bei Arbeitsschutzkontrollen festgestellt, dass    „notwendige Abstands- und Hygieneregeln“ auf Baustellen „immer häufiger (…) nicht eingehalten“ werden. Viele Bauunternehmen seien trotz der Corona-Pandemie inzwischen wieder zu alten Verhaltensmustern zurückgekehrt und ignorierten damit die Infektionsgefahr, lautet die Kritik der Gewerkschaft, da sich die Infektionsgefahr trotz einiger Änderungen nicht wesentlich verbessert hat.

 

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