Ausufernde Minijobs gefährden Sozialversicherung

Mittlerweile gibt es rund 8 Mio. Minijobs mit einem Entgelt bis 400 Euro. Dieser ausufernde Niedriglohnsektor wird ergänzt mit den sogenannten Midi-Jobs, also den Jobs mit Entgelten zwischen 400,01 bis 800 Euro. Diese Ergänzung, die auch als „Gleitzone“ bezeichnet wird, gilt ab 2003 und soll dazu führen, dass die Beschäftigten im Niedriglohnbereich zu regulären Beschäftigungsverhältnissen gleiten können.

Bisher dachte ich immer, ich gleite auf einer schiefen Ebene nach unten. Die damalige Bundesregierung hat aber ganze Arbeit geleistet und gleichzeitig die Gesetze der Schwerkraft  außer Kraft gesetzt, weil nunmehr nach oben geglitten werden kann. Tatsächlich nimmt der Niedriglohnbereich zu Lasten der regulären Beschäftigungen weiter zu. Das ist auch kein Wunder, denn es war das erklärte Ziel, „die Beschäftigung auch im Niedriglohnbereich deutlich auszubauen“, wie der Website des BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Beitrag vom 01.06.2007) entnommen werden kann.

Wer einen Minijob ausübt, zahlt keine Sozialversicherungsbeiträge und keine Steuern. Stattdessen zahlt der Arbeitgeber pauschal 30% Abgaben, nämlich 15% an die gesetzliche Rentenversicherung, 13% an die gesetzliche Krankenversicherung und 2% Steuern. Die Möglichkeit, die 15% an die gesetzliche Rentenversicherung mit 4,9% bis zum Beitragssatz von derzeit 19,9% aus dem eigenen Entgelt von 400 Euro aufzustocken, nimmt kaum einer dieser Beschäftigten wahr, weil sich die Rentenansprüche nur marginal erhöhen. Wer ein Jahr geringfügig beschäftigt ist, erwirbt einen monatlichen Rentenanspruch von 4 Euro. Jeder kann sich ausrechnen, wie niedrig die Rente einmal sein wird, wenn solche Beschäftigungen über Jahre hinaus ausgeübt werden.

Armut im Alter wird zum Massenphänomen, und massenhaft wird die Grundsicherung auf Sozialhilfeniveau in Anspruch genommen werden müssen, die steuerfinanziert ist. Das gilt übrigens auch für Entgelte oberhalb der „Gleitzone“, also für Entgelte über 800 Euro. Wer z.B. ein Bruttoentgelt von 1000 Euro pro Monat 12 Monate im Jahr erhält, erwirbt einen monatlichen Rentenanspruch von 10 Euro. Selbst bei einem Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde gäbe es keine grundlegende Verbesserung des Rentenanspruchs. Auch dann müsste im Rentenalter die Grundsicherung in Anspruch genommen werden. Allerdings bin ich beruhigt, weil die neue Bundesregierung den Kampf gegen Altersarmut beginnen will und deswegen laut Koalitionsvertrag vorhat:

„Wir verschließen die Augen nicht davor, dass durch veränderte wirtschaftliche und demographische Strukturen in Zukunft die Gefahr einer ansteigenden Altersarmut besteht. Deshalb wollen wir, dass sich die private und betriebliche Altersvorsorge auch für Geringverdiener lohnt und auch diejenigen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vorgesorgt haben, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung erhalten.“

Das ist Realsatire.

Es sind aber nicht nur diese Beschäftigten, die arm sind und bleiben, auch die Renten- und Krankenversicherung werden wegen unzureichender Einnahmen finanziell notleidend mit der Folge, dass weitere Leistungskürzungen oder aber höhere Beiträge oder mehr Steuerfinanzierung  erforderlich werden. Wenn dann aber die Äquivalenz von Beitrag und Leistung nicht mehr stimmt, haben Renten- und Krankenversicherung ein Legitimationsproblem. Warum sollte es dann noch die beitragsfinanzierte  Sozialversicherung geben, wenn immer mehr Leitungen über Steuern finanziert werden oder die Leistungen gerade noch für eine Grundversorgung ausreichen? Genau das will die von der Bundesregierung gestützte Privatversicherung, die ohnehin bereits jetzt von der Teilprivatisierung der Rentenversicherung (Riesterrente) profitiert.

Man stelle sich vor, die Minijobs wären die Ausnahme, was sie eigentlich auch nur sein dürften, und alle anderen bisherigen Minijobs  wären reguläre Beschäftigungen in der Nähe des Durchschnittsverdiensts von derzeit 2700 Euro. Es gäbe dann keine Einnahmeprobleme  in der Sozialversicherung und keine massenhafte Armut insbesondere im Alter. Das wäre möglich, wenn der politische Wille vorhanden wäre. Tatsächlich will die neue Bundesregierung das genaue Gegenteil. Sie will den Bereich der Minijobs ausweiten. Die bisherige Grenze von 400 Euro soll bis 600 Euro ausgedehnt werden, weil die „Arbeitsanreize für gering entlohnte Beschäftigungsverhältnisse“ verbessert werden sollen. Ziel ist es gemäß Koalitionsvertrag, „die Brückenfunktion von Mini- und Midi-Jobs in voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu stärken.“ Absurder geht es nicht.

Absurd ist nämlich die Absicht, den Niedriglohnbereich und gleichzeitig die regulären Beschäftigungen ausweiten zu wollen. Ausgeweitet wird lediglich der Niedriglohnbereich, der offensichtlich die reguläre Beschäftigungsart werden soll. Die Arbeitgeber werden sich zunächst freuen, weil Billiglöhne kurzfristig den Profit erhöhen.

Rolf D.Aschenbeck

Aus SpiegelOnline:

FDP und Union haben sich auf ein Verbot sittenwidriger Löhne geeinigt. Doch die Opposition nahm das Vorhaben umgehend unter Beschuss: Die Linke sprach von einer „Ermunterung zum Lohndumping“. Grüne, Linke und die Gewerkschaften sind sich einig: Das von der Koalition geplante Verbot sittenwidriger Löhne taugt nichts. Der stellvertretende Linksfraktionschef Klaus Ernst kritisierte das Vorhaben als „Ermunterung zum Lohndumping“. Die arbeitspolitische Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer, erklärte, es grenze an Verhöhnung, wenn dies als Arbeitnehmerschutz verkauft werde. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund sprach von „Verordnung der Armut per Gesetz“.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hatte mitgeteilt, um einen sittenwidrigen Lohn solle es sich handeln, wenn er ein Drittel unter dem Durchschnitt des branchenspezifischen Lohns liege. Die designierte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles warnte: „Nur Mindestlöhne schützen vor Hungerlöhnen und Bedürftigkeit.“

Ernst erklärte dazu: „Wenn Löhne, die bis zu 30 Prozent unter dem Branchendurchschnitt liegen, für legal erklärt werden, dann heißt das im Klartext, dass Hungerlöhnen das Gütesiegel der Legalität verpasst wird.“ Zum Beispiel lägen die Tariflöhne für Friseure im Osten zwischen drei und vier Euro pro Stunde. Nach den Vorstellungen von Schwarz-Gelb wären dann Löhne von zwei Euro pro Stunde legal.

Die Grünen-Politikerin Pothmer nannte das Verbot „reine Augenwischerei“, denn Armutslöhne blieben damit an der Tagesordnung. Nach geltender Rechtsprechung seien Löhne, die rund 30 Prozent unter den branchen- oder ortsüblichen Tarifen liegen, ohnehin nicht erlaubt. Um ernsthaft gegen Armut trotz Arbeit vorzugehen, brauche es einen flächendeckenden Mindestlohn von 7,50 Euro, forderte sie.

Diese Untergrenze forderte auch der DGB. Vorstandsmitglied Claus Matecki erklärte, Union und FDP zementierten mit ihrem Plan Hungerlöhne. „Sittenwidrig“ sei das Handeln der Koalitionäre, die Beschäftigten Stundenlöhne von 3,50 Euro und weniger zumuten wollten. Folge werde sein, dass „noch mehr Beschäftigte zu Hartz-IV-Aufstockern degradiert werden“. Der Staat müsse dann in noch größerem Umfang die Minilöhne der Arbeitgeber subventionieren.

Zum Thema auch der Artikel der Münsterschen Zeitung:

Auf die Rentner kommen voraussichtlich neue Zusatzbelastungen in der gesetzlichen Krankenversicherung zu. Das sagte der Präsident der Deutschen Rentenversicherung (DRV), Herbert Rische, am Mittwoch in Würzburg. Weil damit auch der Beitrag der Rentenkassen zur Krankenversicherung der Rentner festgeschrieben würde, müssten Ruheständler wie auch Beschäftigte steigende Beiträge allein tragen, sagte Rische. Vor allem für Bezieher niedriger Renten würden die finanziellen Spielräume enger.

Bundesarbeitsminister Franz Josef Jung (CDU) kündigte an, der Beitragssatz zur allgemeinen Rentenversicherung bleibe 2010 stabil bei 19,9 Prozent. Dies sei «ein wichtiges Signal für Beschäftigte und Unternehmen».

Rische äußerte Zweifel an den Plänen der schwarz-gelben Regierung, die Altersarmut zu bekämpfen: «Da wird man noch einiges tun müssen.» Eine garantierte Rente für Geringverdiener könne man nur mit zusätzlichen Steuergeldern sicherstellen. Er warb zugleich um Verständnis für die in den kommenden beiden Jahren geplante Nullrunde bei den Renten. «Der Rentner sollte bei seinen Kindern nachfragen, wie sich deren Löhne entwickelt haben. Denn die Kinder müssen die Renten ja bezahlen», sagte Rische der «Saarbrücker Zeitung» Die geplante Anhebung der Minijob-Verdienstgrenze von 400 auf 600 Euro im Monat birgt nach Einschätzung des DRV-Präsidenten die Gefahr, dass damit immer mehr sozialversicherungspflichtige Jobs verdrängt werden. Wenn am Ende die Hälfte der Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor beschäftigt sei, könne man «die beitragsfinanzierte Sozialversicherung in die Tonne treten», warnte der Rentenexperte.

Die Entscheidung der vorigen Bundesregierung, das Rentenalter schrittweise auf 67 Jahre anzuheben, ist nach Risches Überzeugung grundsätzlich richtig. Dies bringe aber nur eine geringe Entlastung für die Beitragszahler von 0,6 Prozent Beitragspunkten im Jahr 2030. Ob der Einstieg in die Rente mit 67 wie geplant 2012 beginnen könne, sei im kommenden Jahr zu entscheiden.

Sollte ein Aufschub bei der Rente mit 67 nötig werden, wäre dies für die GKV-Co-Vorsitzende Annelie Buntenbach «ein positives Signal». Die Regierung würde damit zeigen, dass sie das Problem erkenne: Man könne nicht die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf die Tagesordnung setzen, wenn so viele Menschen auf der Straße stehen.

Im Kampf gegen die Altersarmut setzt Rische vor allem auf Erfolge in der Beschäftigungspolitik. Problematisch sei, dass Langzeitarbeitslose pro Jahr lediglich einen Rentenanspruch von monatlich 2,17 Euro erhalten, weil der Staat die Beitragsleistung stark zurückgefahren hat.

Der rentenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Peter Weiß (CDU), stellte die angekündigte doppelte Nullrunde für die Rentner infrage. Er sagte im RBB-Inforadio mit Blick auf die Wirtschaftskrise: «Wir werden in diesem Jahr wahrscheinlich keine Lohnerhöhungen haben.» Deswegen sei für das kommende Jahr auch nicht mit einer Rentenerhöhung zu rechnen. «Bei der Prognose für 2011 wäre ich etwas vorsichtiger. Das müssen wir einfach abwarten», sagte Weiß.

Beitrag von Dr.Norbert Blüm in der Süddeutschen Zeitung:

 Einst zogen Hans-Olaf Henkel und die Seinen mit großen Worten aus, die Tarifautonomie zu beerdigen. „Tarifkartell“ nannte der damalige BDI-Präsident die Tarifpartnerschaft. Und einer seiner Nachfolger, Michael Rogowski, wünschte sich in einem Anfall von cowboyhafter Wild-West-Romantik, die Tarifverträge und die Mitbestimmung sollten im Lagerfeuer brennen. Andere Arbeitgeber brüsteten sich damit, dass sie mit billigen Leiharbeitern geltende Tarifverträge unterlaufen können.

Die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände forcierte sogar einen Tarifvertrag mit den Christlichen Gewerkschaften, in dem Hungerlöhne vereinbart wurden. Dabei wusste die BDA sehr wohl, dass die Christlichen Gewerkschaften so wenig mit einer Gewerkschaft vergleichbar sind wie die Potemkinschen Dörfer mit einer Festung.

Es wurde in den neunziger Jahren chic, aus den Arbeitgeberverbänden auszutreten und die Sozialpartnerschaft als Klimbim aus vergangenen Zeiten lächerlich zu machen. Doch die Konsequenzen des neoliberalen Rausches folgen wie der Kater der Trunkenheit. Ohne allgemein verbindliche Tarifverträge geraten Löhne leicht in den freien Fall. Und der Wettbewerb läuft Gefahr, zu einer Konkurrenz um die billigsten Löhne zu verkümmern.

Das westdeutsche Wirtschaftswunder war jedoch nicht das Ergebnis einer Billiglohn-Konkurrenz. Der Wettbewerb war ein Qualitätswettbewerb, in dem Innovation, Service und Solidität eine große Rolle spielten Made in Germany hat einen guten Klang, das ist bis heute die Stärke der deutschen Wirtschaft. Wenn wir uns auf die globale Billiglohn-Olympiade einlassen, werden wir auch die Kinderarbeit wieder einführen müssen, denn die ist am billigsten.

Im Übrigen ist der Hinweis auf Globalisierung in manchen Fällen auch nur eine billige Ausrede für Niedriglöhne. Wenn in Dortmund Haare für 1,50 Euro Stundenlohn geschnitten werden, dann nicht aus globalen Wettbewerbszwängen. Kein Dortmunder fliegt nach Prag, Mogadischu oder Mumbai, weil dort das Haareschneiden billiger ist. Und Fenster werden zwecks Reinigung auch nicht nach China geflogen.

Immer weiter abwärts

Die Lohnspirale dreht sich seit einigen Jahren nach unten. Wenn der Staat hier nicht bald Stoppschilder setzt, werden auch noch die anständigen Arbeitgeber durch Dumpinglöhne in den Ruin getrieben oder gezwungen, ebenfalls niedrige Löhne zu zahlen.

Es kann auch kein Staat sehenden Auges eine Lohnpolitik hinnehmen, bei der er mit Sozialhilfe einspringen muss, um die Löhne auf das Existenzminimum aufzustocken. Dies würde Tür und Tor für die Ausbeutung des Staates durch die Arbeitgeber öffnen. Ein Unternehmer könnte dann mit gutem Gewissen Hungerlöhne zahlen, denn er weiß: Den Hunger stillt zur Not der Staat. Deshalb wird paradoxerweise auf die Zerstörung der Tarifautonomie der staatliche Mindestlohn stehen. Er verhindert das Schlimmste.

Er ist Notwehr für den ausgefallenen Tarifschutz. Und die auszogen, der Freiheit des wirtschaftlichen Handelns eine Gasse zu schlagen, kehren als Verstaatlicher heim. Sie wollten mehr Markt erstreiten – und haben mehr Staat bewirkt.

Immer mehr auf  Grundsicherung angewiesen

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