Aufbruch

Der Landesvorsitzende der SPD in Schleswig-Holstein(SH) und stellv. Bundesvorsitzende, Ralf Stegner, hat mit seinem Schreiben an alle Mitglieder der SPD in SH klargestellt, (1) dass erfolgreiches politisches Handeln nur mit Solidarität, Gerechtigkeit und Weitsicht erfolgen kann. Lesen Sie sein klares Bekenntnis zu einer solidarischen Gesellschaft ohne engstirnigen Nationalismus..

Liebe(r) …,

ein sehr ereignisreiches Jahr neigt sich dem Ende zu. 2018 gab es viele schwierige Momente für unsere SPD. Anfang des Jahres standen wir noch mit einem Parteivorsitzenden Martin Schulz vor der Frage, ob wir uns entgegen früherer Ankündigungen an einer Regierung mit der Union beteiligen. Wie ihr wisst, hat sich eine Zweidrittelmehrheit unserer Mitglieder dafür ausgesprochen. Trotzdem hält das Unbehagen in der Partei an. Die Große Koalition hat bislang kein festes Fundament. Die CSU hat viele Monate alles dafür getan, die politische Debatte vor der bayrischen Landtagswahl zu beherrschen – wenn auch mit Populismus und Provokationen. Das Sommertheater von Herrn Seehofer hat die Geduld der Koalitionspartner ausgereizt. Die geplante Beförderung des damaligen Bundesverfassungsschutzpräsidenten Maaßen zum Staatsekretär im Bundesinnenministerium nach dem Vorwurf, Rechtspopulisten politisch beraten zu haben, war da nur die Spitze des Eisbergs.

Doch es nützt uns nichts, wenn wir kritisch auf die anderen schauen. Im kommenden Jahr wird es darum gehen, unsere Partei wieder auf starke Füße zu stellen. Denn ja, um die SPD steht es gerade nicht zum Besten. Die Ergebnisse der letzten Wahlen waren ernüchternd und auch die aktuellen Umfragen bieten Anlass zu großer Sorge. Wir haben den Kontakt zu vielen Menschen verloren, die sich eigentlich vorstellen können, die SPD zu wählen. Wir haben zu lange auf klare Positionen und die großen Visionen verzichtet und nur noch versucht, durch praktische Regierungsarbeit das Leben der Menschen Stück für Stück besser zu machen. So wichtig und richtig das ist, so stand die SPD schon immer im Spannungsfeld zwischen konkreten Reformschritten und großen Zielen. Gute Realpolitik muss Hand in Hand mit visionären politischen Ideen gehen. Nur so können wir wieder zur starken sozialen Kraft in unserem Land werden!

Wer die Herausforderungen kennt, die unsere Vorgängergenerationen zu erringen hatten, weiß, dass es kaum Grund zu jammern gibt, sondern eher zum Ärmel aufkrempeln und etwas tun! Wir können den Trend drehen. Wir entscheiden, wer wir sind und wie wir miteinander umgehen. Für mich ist die SPD immer noch die Partei mit klarem Gerechtigkeitskurs und klarer Haltung gegen rechts. Fehler zu machen ist nicht schlimm. Aber wir dürfen sie nicht wiederholen. Wir sollten uns wieder trauen, mutige Politik zu machen. Manche Entscheidungen werden auf harten Widerstand und mutige Gegner treffen. Aber das ist es doch, worum es in der Politik geht. Bürgerversicherung, Vermögenssteuer oder ein moderner Sozialstaat mit mehr Chancen und weniger Repressionen – das sind doch die großen Ideen der Sozialdemokratie, deren Umsetzung Mut erfordert. Diesen Weg sollten wir gehen, auch wenn er lang und steinig ist.

Die Europawahl im kommenden Mai ist eine gute erste Gelegenheit, um unsere Partei wieder auf Spur zu bringen. Es geht um nicht weniger als Wohlstand und Frieden. Denn Europa ist nicht Teil der Probleme unserer Zeit, wie Rechtspopulisten behaupten, sondern Teil der Lösung. Isolation und Nationalismus sind der Irrweg in die politische Ohnmacht. Deutschland hat eine Verantwortung. Wir sollten nicht anderen Ratschläge geben, sondern für ein soziales Europa und globale Gerechtigkeit mit gutem Beispiel vorangehen. Dafür haben wir in Schleswig-Holstein ein starkes Team, mit dem wir in den Europa-Wahlkampf ziehen.

Wir dürfen nicht glauben, dass weniger Menschen flüchten, weil wir unsere Grenzen dichtmachen. Es sollte uns doch vielmehr darum gehen, Fluchtursachen zu bekämpfen. Wir müssen damit aufhören, Waffen in Kriegsgebiete und Diktaturen zu liefern. Und wir müssen damit aufhören, Länder als anständig zu bezeichnen, die es nicht sind, damit wir weiter – ohne schlechtes Gewissen – wirtschaftliche Beziehungen pflegen können. Und wir müssen die Vereinten Nationen stärken. Sie sind die Kraft, mit der Konflikte bereinigt und Menschenleben vor Ort bewahrt werden können. UNHCR und andere sind für manche Menschen in Afrika und dem Nahen Osten gerade die einzige Chance, zu überleben.

Und da sind die Konflikte mit Trump, Putin oder Erdogan. Die angekündigte Aufkündigung des INF-Vertrags durch den amerikanischen Präsidenten stellt eine große Bedrohung für Europa dar. Deshalb brauchen wir eine starke Europäische Union, die zusammensteht und ihre Interessen in der Welt mit großen Gewicht vertritt. Wir Deutschen alleine können da nicht viel ausrichten.

Wir müssen wieder enger zusammenstehen, Verantwortung für das Ganze übernehmen und den politischen Gegner nicht in den eigenen Reihen vermuten! Die wahren Gegner stehen rechts. In unsicheren Zeiten gibt es immer Verführer, die einfache Antworten auf komplexe Fragen vorgaukeln. Aber diese Antworten sind falsch! Trotzdem sehen wir, wie in ganz Europa rechtspopulistische Parteien an Kraft gewinnen – im Europäischen Parlament sitzt auf jedem dritten Platz ein Rechtspopulist und Europafeind. In Deutschland ist die AfD mittlerweile in allen Parlamenten vertreten. Mit teils offenem rechtsradikalen Gedankengut vergiften sie unser politisches Klima – in manchen Regionen sind sie bereits die stärkste Kraft.

Leider ist der Grund für ihre Erfolge komplex. Sie sind auch Ausdruck einer enormen Verunsicherung, die das Ergebnis von weitreichenden Veränderungen wie Globalisierung, Digitalisierung usw. und leider unzulänglichen Antworten der Politik ist. Deshalb ist die aktuelle Debatte über die Zukunft unseres Sozialstaats so wichtig. Soziale Abstiegsängste sind in die Mitte der Gesellschaft gerückt und haben Viele stark verunsichert. Wir brauchen einen modernen Sozialstaat, der solidarische Sicherung für alle gewährleistet; eigenständige Kindergrundsicherung, steigende Mindestlöhne, Reform des Arbeitslosengeldes I, funktionierender sozialer Arbeitsmarkt mit Mindestlohn und Sozialversicherungspflicht, gebührenfreie Bildung von der Krippe bis zum Master oder Meister, lebenslanges Chancenkonto für Fort- und Weiterbildung – das sind die Stichworte für eine selbstbewusste, zukunftsgerichtete Sozialstaatsdebatte in der SPD. Und wir müssen konkrete Konzepte entwickeln, wie gute Arbeit und Umwelt- und Klimaschutz zusammengehen. Das ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit und darum müssen wir uns kümmern.

Gerade erst hat Frau Merkel nach 18 Jahren ihren Parteivorsitz abgegeben. Annegret Kramp-Karrenbauer wird die CDU nun leiten und in den nächsten Monaten sicher einige eigene Akzente setzen. Dies bietet uns die Gelegenheit, die Unterschiede zwischen uns und der Union wieder deutlicher herauszustellen. Und auch Horst Seehofer wird den Parteivorsitz der CSU im kommenden Jahr abgeben. Das nächste Jahr wird politisch also wieder einige Überraschungen und Möglichkeiten bereithalten. Lasst sie uns nutzen! Im Landtag werden wir als Opposition daran arbeiten, dass wir bei der nächsten Landtagswahl 2022 mit Erfolgsaussichten um die politische Führung des Landes kämpfen können.

Euch allen wünsche ich erstmal eine friedliche und erholsame Weihnachtszeit und ein gutes, gesundes Jahr 2019. Vielen Dank für euer Engagement! Im Januar sehen wir uns wieder – mit einem starken Team für ein soziales und demokratisches Europa!

Euer

Ralf Stegner

SPD Landsvorsitzender

(1) Die eigentlich namentliche Anrede ist nicht wiedergegeben worden,weil es sich um ein Schreiben an alle Mitglieder handelt.