Arzneimittelreport

Der Arzneiverordnungs-Report 2019 hat wie in den Vorjahren festgestellt, dass viele Arzneimittel zu teuer sind und von den niedergelassenen Ärzten auch aus Zeitmangel zu schnell verordnet werden. Der unnötige Kostenanstieg zu Lasten aller Versicherten der GKV setzt sich unvermindert fort. Lesen Sie die Presseerklärung des WIdO.

Berlin. Die Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind 2018 um 3,2 Prozent auf 41,2 Milliarden Euro gestiegen. „Unsere Verordnungsanalysen zeigen dabei seit vielen Jahren, dass patentgechützte Arzneimittel die wesentlichen Kostentreiber sind“, sagt Prof. em. Dr. med. Ulrich Schwabe vom Pharmakologischen Institut der Universität Heidelberg.

 

Kostentreiber patentgeschützte Arzneimittel

Ein Indikator dieser Entwicklung ist der Apothekenumsatz je Verordnung, der sich im patentgeschützten Markt in den vergangenen 10 Jahren verdreifacht hat, und zwar von 163 Euro im Jahr 2008 auf 471 Euro im Jahr 2018. „Insgesamt wurde zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung ein Apothekenumsatz von 19,8 Milliarden Euro mit patentgeschützten Arzneimitteln erzielt. Das ist fast die Hälfte des gesamten Umsatzes in der Apotheke“, so Jürgen Klauber, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). „Zugleich machen patentgeschützte Arzneimittel nur den vergleichsweise kleinen Anteil von 6,4 Prozent aller Arzneimittelpackungen aus.“

 

Hohe Jahrestherapiekosten für neue Arzneimittel

Kritisch sehen die Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports 2019 auch die Entwicklung der Jahrestherapiekosten bei den neu eingeführten Arzneimitteln. Denn neben Präparaten mit sehr hohen Kosten von nahezu einer Million Euro können auch Mittel wie Erenumab (Aimovig) mit Jahrestherapiekosten von 12.000 Euro für die GKV zur Herausforderung werden, wenn sie für einen großen Kreis von Patienten zugelassen sind. Aimovig ist zur Migräneprophylaxe zugelassen und kommt laut Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses für 2,4 Millionen Patienten in Frage.

Ulrich Schwabe: „Erenumab könnte daher unvorstellbare  GKV-Gesamtkosten von 30,3 Milliarden Euro verursachen. Dabei ist ein Zusatznutzen nur für eine kleine Gruppe von 14.500 Patienten belegt, die auf keines der ansonsten verfügbaren Migräneprophylaktika ansprechen.“

 

Kleine Verordnungsmengen, großer Umsatz

Diese Hochpreispolitik der pharmazeutischen Hersteller führt dazu, dass sich das Gros des patentgeschützten Umsatzes auf immer weniger Produkte und immer kleinere Patientengruppen verteilt. Mussten 2008 für die 10 Prozent der patentgeschützten Arzneimittel mit den kleinsten Verordnungsmengen noch 32 Prozent des Umsatzes aufgewendet werden, waren es 2018 schon 61 Prozent.

Dieses Zehntel patentgeschützter Verordnungen vereint derzeit einen Umsatzanteil am Gesamtmarkt von 28,2 Prozent. Und das bei einem Versorgungsanteil von nur 0,7 Prozent.

 

Orphan-Arzneimittel (1)  mit hohen Gewinnaussichten, aber wenig Zusatznutzen

Wirtschaftlich sehr lukrativ für pharmazeutische Unternehmer ist auch die Entwicklung von Orphan-Arzneimitteln, also Wirkstoffen gegen seltene Erkrankungen, für die jährliche Wachstumsraten im Umsatz von etwa 12,3 Prozent für den Zeitraum von 2019 bis 2024 prognostiziert werden. Dadurch wird ihr Umsatzanteil am Gesamtarzneimittelmarkt von 8,9 Prozent im Jahr 2018 auf 20 Prozent im Jahr 2024 steigen. Doch Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), kritisiert: „Die Zulassung von Orphan-Arzneimitteln basiert nicht selten auf unzureichender oder eher geringer Evidenz hinsichtlich ihres Nutzens sowie ihrer Risiken. Patienten sind hier mitunter erheblichen Unsicherheiten ausgesetzt“. Bei mehr als der Hälfte der seit 2011 im Rahmen der frühen Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss bewerteten Orphan-Arzneimittel war der Zusatznutzen nicht quantifizierbar.

Gefordert wird deshalb sowohl in Europa als auch in den USA ein Überdenken der aktuell für die Ausweisung als Orphan-Arzneimittel geltenden Prävalenzkriterien sowie der Dauer der Marktexklusivität (in der EU zehn Jahre), aber auch eine genaue Definition von Begriffen wie „ungedeckter medizinischer Bedarf“ bzw. „signifikanter Nutzen“. Bei ökonomisch sehr erfolgreichen Orphan-Arzneimitteln, die weltweit hohe jährliche Umsätze erzielen, sollte eine Rückzahlung der initial den pharmazeutischen Unternehmern gewährten ökonomischen Anreize erwogen werden.

 

Regeln für den deutschen Arzneimittelmarkt müssen sich verbessern

Veränderungen fordert auch Dr. Sabine Richard, Geschäftsführerin der Geschäftsführungseinheit Versorgung des AOK-Bundesverbandes, die Deutschland für die aktuelle Preisentwicklung im Arzneimittelmarkt schlecht gerüstet sieht: „Einzelne Hersteller testen die Grenzen der Zahlungsbereitschaft der solidarisch finanzierten Krankenversicherung immer weiter aus.“

 

Überforderung der Krankenkassen vermeiden

Neben einer gesamtgesellschaftlichen Debatte, wie die Gesetzliche Krankenversicherung dauerhaft vor Überforderung geschützt werden kann, fordert der AOK-Bundesverband deshalb kurzfristig umsetzbare Weiterentwicklungen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG). „Pharmafirmen hingegen propagieren stattdessen lieber sogenannte innovative Preismodelle, wie Pay for Performance. Das ist aber keine Systemlösung, sondern nur eine Nebelkerze“, sagt Richard. Sie könnten die Festlegung eines wirtschaftlichen Erstattungsbetrages nicht ersetzen und änderten letztlich nichts an immer höheren Mondpreisen, die von der Solidargemeinschaft erst einmal vorfinanziert werden müssten.

 

(1) Orphan-Arzneimittel sind Arzneimittel für seltene Leiden, also zur Behandlung seltener Krankheiten. In der Europäischen Union sind das weniger als 230.000 Patienten pro Jahr bzw. 5 Patienten pro 10.000 Einwohner. Nicht diese Patienten stehen in der Kritik, sondern die Profitgier der Pharma-Konzerne, die die staatliche Förderung solcher Arzneimittel auch noch ausnutzen.

 

 

 

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