Es wäre ein historischer Sieg für die US-amerikanische Arbeiterbewegung. Mehr als 800.000 Mitarbeiter hat der Konzern in den USA, nur die Supermarktkette Walmart hat mehr Beschäftigte. Wenige Tausend Arbeiter in Bessemer könnten mit ihrer Stimme Kollegen an Amazon-Standorten im ganzen Land Auftrieb geben – und eine Welle an weiteren Abstimmungen auslösen, an deren Ende der Konzern in den USA flächendeckend organisierte Arbeitnehmervertretungen hätte. Und sie würden den Ruf von Birmingham als einstige Hochburg der Arbeiter- und Bürgerrechtsbewegung neu beleben.
Zulassung als Interessenvertretung notwendig
Bates und ihre Kollegen wollen an diesem Samstag vor allem Entschlossenheit zeigen – und die ist auch nötig. Denn wer in den USA einen Betrieb gewerkschaftlich organisieren will, stößt auf hohe Hürden. Gerade die Südstaaten gelten als notorisch gewerkschaftsfeindlich, was nicht zuletzt auch ein Grund dafür sein dürfte, dass viele nationale wie internationale Industriekonzerne in den vergangenen Jahren dort Standorte aufgebaut haben.
Um gegenüber dem Arbeitgeber mehr Rechte verhandeln zu können, müssen zunächst mindestens 30 Prozent der Mitarbeiter einen „Autorisierungsbrief“ unterschreiben, mit dem die Gewerkschaft dann bei der nationalen Arbeitsrechtsbehörde NLRB eine geheime Wahl zur Organisation des Betriebs beantragen kann. Wenn bei dieser Abstimmung mehr als die Hälfte der Beschäftigten für die Gewerkschaft stimmt, gilt der Betrieb als organisiert und die Gewerkschaftsvertreter können Verhandlungen – etwa zu Arbeitsbedingungen, Löhnen und Zusatzvergünstigungen – beginnen.
Amazon versucht, die Organisation zu verhindern, und hat eine Gegenkampagne gestartet mit der das Unternehmen mit Vorträgen versuche, die Bewegung als getarnte „Antigewerkschaftspropaganda“ negativ darzustellen. Die Existenz dieser Vorträge räumte eine Unternehmenssprecherin gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg ein, spricht allerdings von Informationsveranstaltungen: Es gehe darum, den Angestellten „dabei zu helfen, sich klarzumachen, was der Beitritt zu einer Gewerkschaft bedeutet“. Selbst auf den Toiletten gibt es offenbar Antigewerkschaftsplakate – ein entsprechendes Foto veröffentlichte ein Reporter der Washington Post.
Amazon ließ sogar eine eigene Website aufsetzen. Darauf kritisiert das Unternehmen vor allem die Gewerkschaftsbeiträge, die sich auf fast 500 Dollar im Jahr belaufen würden. „Wollt ihr das Geld nicht lieber für die Bücher, Geschenke und andere Dinge sparen, die ihr haben wollt?“, heißt es dort. An anderer Stelle steht, wenn der Betrieb erst gewerkschaftlich organisiert sei, werde es schwieriger werden, „hilfsbereit und sozial zueinander zu sein“.
Abstimmung kann erfolgen
Schließlich versuchte Amazon trotz der Pandemie bei der US-Arbeitnehmerrechtsbehörde NLRB eine Vor-Ort-Abstimmung zu erwirken, bei der die Beschäftigten persönlich im Verteilzentrum hätten abstimmen müssen. Am Freitag erteilte die Behörde der Forderung allerdings eine Absage. Die Abstimmung kann deshalb nun wie geplant per Briefwahl stattfinden.
Bis zum 29. März können die Mitarbeiter ihre Stimmen abgeben. Jennifer Bates ist davon überzeugt, dass die Gewerkschaft gewinnen wird – obwohl sich auf der verregneten Wiese neben den vielen Sympathisanten nur wenige Amazon-Beschäftigte eingefunden haben, die öffentlich über ihre Erfahrungen im Betrieb reden wollen. Viele hätten Angst um ihren Job, erzählt Bates. Auch sie habe zunächst Bedenken gehabt, sich zur RWDSU zu bekennen. Aber diese Angst sei nun verschwunden.
Den Autorisierungsbrief, der die Wahl bei Amazon erst möglich machte, hatten laut Angaben der Gewerkschaft Ende Dezember bereits mehr als 2.000 Beschäftigte unterschrieben. Das hätte gezeigt, dass ihre Kollegen nur darauf gewartet hätten, dass sich jemand für sie einsetze, sagt Bates. „Ich glaube auch, dass sie in geheimer Wahl für die Gewerkschaft stimmen werden.“ Wenn die schon überzeugten Beschäftigten auch bei der offiziellen Abstimmung für die Organisation votieren, fehlen nur noch knapp 900 Stimmen für einen Erfolg.
Unterstützung von Prominenten
Der Kampf von Bates und ihren Kollegen bekommt Aufmerksamkeit im ganzen Land. Die Spielergewerkschaft der amerikanischen Footballliga NFL solidarisierte sich mit den Amazon-Arbeitern, der linke Senator und ehemalige Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders hat an diesem Samstag einen Stapel Pizzen nach Bessemer liefern lassen. Selbst US-Präsident Joe Biden twitterte am Mittwoch – allerdings ohne Amazon zu erwähnen – seine Regierung unterstütze gewerkschaftliche Organisation. Arbeitgeber müssten sicherstellen, dass Arbeitnehmer eine freie und faire Wahl haben, sich einer Gewerkschaft anzuschließen.
„I’m proud to be an American„, singt der konservative Countrysänger Lee Greenwood. Stolz auf das eigene Land zu sein, das bedeutet hier, für eben jene Arbeitnehmerrechte zu kämpfen, die dem ehemaligen Präsidenten eher gleichgültig waren. Jennifer Bates und ihre Kollegen könnten mit ihrer Kampagne ein Stück US-amerikanische Gewerkschaftsgeschichte schreiben.
Kommentar
Der Kampf der Beschäftigten von Amazon in den USA um betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretung ist aus drei Gründen bemerkenswert:
1.Es ist ein nationaler Kampf, obwohl Amazon international präsent ist. Der wahrscheinliche Erfolg der Arbeitnehmer in den USA bezieht sich daher auch nur auf dieses Land bzw. auf einen Teil dieses Landes. In anderen Ländern ist der Kampf um eine gewerkschaftliche Interessenvertretung bei Amazon jedoch genauso notwendig und überfällig. Ein international abgestimmter und vorbereiteter Kampf wäre daher wünschenswert.
2.In Deutschland kämpft ver.di mit den Beschäftigten von Amazon ebenfalls um eine betriebliche Interessenvertretung. Im Gegensatz zu den USA wird dieser Kampf kaum beachtet, sondern erscheint allenfalls als kurze Notiz in der Presse. Arbeitnehmerrechte haben offensichtlich in einer überwiegend neoliberalen Presse keine Befürworter.
3.Prominente wie Präsident Joe Biden und Bernie Sanders von den Demokraten bekunden nicht nur ihre Sympathie für den Kampf der Beschäftigten von Amazon, sondern unterstützen ihn auch. Ich hätte erwartet, dass Prominente der SPD, der Partei „Die Linke“ und der Grünen den Kampf hierzulande ebenfalls unterstützen. Die Bundesvorsitzenden der Sozialdemokraten hätten allen Grund zu belegen, dass die SPD sich für die Interessen der Arbeitnehmer und Rentner einsetzt. Sie täte im eigenen Interesse gut daran, die Mehrheit der Bevölkerung mit entspechenden Maßnahmen hinter sich zu wissen.
Rolf Aschenbeck
Gewerkschaft bei Amazon gescheitert
Die Gewerkschaft RWDSU hat die Abstimmung über ihre Präsenz in einem Wek von Amazon in Bessemer im US-Bundesstaat Alabama verloren. Eine knappe Mehrheit der dortigen Arbeitnehmer hat sich nach dem letzten Stand der Auszählung gegen die Arbeitnehmervertretung entschieden. Wenn es so bleibt, was zu befürchten ist, hätte der Konzern von Multimilliardär Jeff Bezos diese historische Wahl dank erheblicher Beeinflussung für sich entschieden und damit den ersten Standort mit einer Arbeitnehmervertretung nach 27 jähriger Existenz des Unternehmens verhindert.
Es ist bitter, dass eine Mehrheit der Arbeitnehmer den Versprechungen, der Propaganda und auch den Fake News der Medien geglaubt hat und nicht ihrer Interessenvertretung. Die Interessen der Arbeitnehmer werden jedenfalls nicht vom Kapital wahrgenommen und auch nicht von Amazon.
Rolf Aschenbeck